Leif trifft: Empörte Bürger – Die neue Macht im Land?

LeifTrifft_web23. September 2015, 20.15 Uhr, SWR-Fernsehen

80 Prozent der Bürger sind enttäuscht von der Politik und klagen, dass Politiker nichts unternehmen, um sich über ihre Sorgen und Interessen zu informieren. Aktuelle Umfragen und eine dramatisch sinkende Wahlbeteiligung belegen eine alarmierende Demokratie-Müdigkeit. Immer mehr Menschen erwarten nichts mehr von der Politik. Gleichzeitig brodelt es überall, wächst Wut und Empörung: Gegen Flug- und Bahnlärmbelästigung, Naturzerstörung, zweifelhafte Großprojekte, Windräder-Parks oder die Aufnahme von tausenden von  Flüchtlingen in Deutschland.

Was sind die tieferen Motive für die Kluft zwischen Bürgern und Politik? Was treibt die Empörung an, die selbst bislang politisch kaum engagierte Bürger ergriffen hat?
SWR-Chefreporter Thomas Leif unternimmt eine  Deutschlandreise zu Brennpunkten der Bürgerproteste zwischen Wut und Dialog und fragt, ob sich hier aus der Mitte der Gesellschaft ganz neue politische Kräfte formieren.

Da sind etwa die Gegner des größten Bauprojekts Deutschlands, dem Stuttgarter Bahnhof, die  trotz verlorener Volksbefragung  nicht aufgeben. Die S-21-Kritiker – gleichsam Pioniere der neuen deutschen Protestwelle – hegen immer noch die Hoffnung, dass das 10-Milliarden-Projekt an bautechnischen Grenzen und weiter galoppierenden Kosten scheitert. Statt auf Massendemonstrationen setzen sie zunehmend auf ihre technische Expertise. Mit ausgeklügeltem Ingenieurs-Wissen traktieren sie die Bauherren und mobilisieren die Gerichte.

Auch die Fluglärm-Gegner rund um den Frankfurter Flughafen geben trotz umstrittener „Lärmpausen“ nicht auf. Montag für Montag belagern seit Jahren genervte und empörte Anwohner das Abflug-Terminal in Deutschlands größten Flughafen. Unverdrossen demonstrieren sie und erinnern die verantwortlichen Politiker und den Flughafenbetreiber FRAPORT an die Gesundheitsbelastungen, die sie für unerträglich halten. Auch bei diesem Dauer-Protest geht es – wie es Dietrich Elsner, der Koordinator der Fluglärminitiativen formuliert – „um die Macht der Wirtschaft gegen die Ohnmacht der vom Lärm betroffenen Bürger.“ Die Fluglärmgegner verhandelten zwar ständig mit allen Parteien, „lassen sich aber nicht in einen wachsweichen Konsens einbinden“.

In Weinheim ist der wachsende Flüchtlingsstrom bereits angekommen. Stellvertretend für viele Kommunen in Deutschland sind hier die Konflikte rund um die Unterkunft, Betreuung und Integration von Flüchtlingen zu besichtigen. Vier neue Unterkünfte für etwa 300 Flüchtlinge sind bis zum kommenden Jahr geplant. In der „Bürgerinitiative Weststadt“ bündeln sich die Ängste und Sorgen von Anwohnern, die sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen in ihrer direkten Nachbarschaft überfordert fühlen. Die Angst vor vermeintlich wachsender Kriminalität, mangelhafter Integrationsfähigkeit und sinkenden Immobilienpreisen treibt viele Bürger um. Die Fronten scheinen verhärtet, den „Wutbürgern“ stehen in Weinheim die „Gutmenschen“ gegenüber, die die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen wollen. Die Dokumentation zeichnet den Streit zwischen den Konfliktparteien nach.

Gibt es einen gemeinsamen Nenner dieser neuen Opposition von der Straße, fragt Thomas Leif auch prominente Publizisten wie den Spiegel-Autor Dirk Kurbjuweit der vor fünf Jahren den Begriff des „Wutbürgers“ geprägt hat. Und lässt den Kabarettisten Hans-Joachim Heist alias Gernot Hassknecht die Seelen- und Motivlage der Empörten und Enttäuschten analysieren.

Und mit welchen Mitteln reagieren die von den Wutwellen überraschten Politiker? Reicht die neue Dialog-Offensive „Gut Leben in Deutschland“ der Bundesregierung mit mehr als 200 routiniert gestalteten Diskussionen im Drei-Stunden-Takt aus, um die Sprachlosigkeit zwischen Bürgern und Politikern überall in Deutschland zu überwinden?

Leif trifft: Empörte Bürger –
Die neue Macht im Land?
Ein Film von Thomas Leif und Harold Woetzel

Redaktion: Thomas Michel